Geruchs-Junkies

 

Die Luft ist wieder so schwer und voll von verführerischen Düften. Da fällt es mir immer schwerer, meinen Dienst zu tun und nicht ständig den verwirrenden Gerüchen hinterher zu fliegen und sich an den süßen und herzhaften Leckereien der Menschen gütlich zu tun. Aber ich muss mich zusammen reißen, wenn ich sehe wie da meine Kolleginnen da unnatürlich herum torkeln, völlig benebelt von den merkwürdigen Inhaltsstoffen, die diese Dinge in sich tragen.

 

Ein, zweimal hab auch ich mich betören lassen und ich muss sagen, es war schon ein echt starkes Gefühl!

Ich war mir wie ein Riese vorgekommen, als könne mich nichts und niemand aufhalten. Egal, ob eine Kollegin oder gar einer dieser Zweibeiner, die da womöglich mir mein Fresschen streitig machen wollten. 

Vor allem der Zucker darin haut einen um. Die Menge ist so viel und so intensiv, dass seine Moleküle regelrecht in meinem Kopf explodiert sind. Ich kann mich im Grunde nur noch an die bunten Farben erinnern, aber was ich getan habe oder wie ich dann dort gelandet war, als ich wieder nüchtern wurde, kann ich nicht sagen. Die Daten sind alle ausgelöscht. Genauso wie das Leben viele meiner Kolleginnen...

 

Dabei hat alles so zielstrebig angefangen. Keine von uns hätte auch nur im Traum daran gedacht, nur einen Fühler von seinem Dienstplan abzurücken. Die Duftbefehle unserer Königin waren klar und deutlich. So waren wir losgezogen. Die einen auf der Suche nach Holz, als Nistmaterial, das es galt abzuschaben und zuhause in Papier umzuwandeln. Die anderen auf der Suche nach Futter für den Nachwuchs: gute proteinreiche Insekten.

Und wir sind emsig bei der Arbeit gewesen. Genauso wie auch alle anderen Wespenstämme. Wir helfen auf diese Weise auch den Pflanzen. Denn die saugenden und Grün fressenden Insekten dürfen nicht über die Maße an den Pflanzen sich nähren. Wir zügeln diese Tierbestände, so dass sie nicht zu Schädlingen für die Wurzelnden werden. 

Doch damit nicht genug! Wir sind genauso gute Blütenbestäuber wie die Bienen. Nur produzieren wir für die Menschen eben keinen Honig! Vermutlich sind wir deshalb für sie nichts besonderes und werden meist als Ungeziefer eingestuft, dass es zu vernichten gilt!

 

Ich kann das einfach nicht verstehen. Wieso sind diese Zweibeiner so blind? Obwohl, wenn ich bedenke... unser Stamm der Deutschen Wespen und auch noch unsere näheren Verwandten die Gemeine Wespe, fressen auch mal vom Futter der Menschen. Und wie wir uns dann aufführen - ich glaube, das sagt schon alles!

Ich glaube dieses Futter macht die Zweibeiner aggressiv, löscht das Wir-Gefühl aus dem Gedächtnis und erschafft im Gegenzug ein übergroßes Ego. So geht es ihnen wohl dann wie es mir vor einigen Tagen ergangen ist. 

Und wenn wir dann auch mal aus dem Rahmen fallen und die Sau raus lassen, dann sind wir die Bösen und werden dann auf brutalste Weise ertränkt und ermordet!  

 

Dabei hätten wir es doch nach all unserem Pflichtbewusstsein verdient, auch mal los lassen und einfach nur mal ernten zu dürfen. Bei den Menschen nennt sich das Rente, und die genießen sie in vollen Zügen. Dabei haben sie im Grunde doch gar nichts für die Natur getan! Sie haben sie nur vergiftet und ausgenommen! Und dafür wollen sie dann am Ende auch noch das Paradies für sich allein haben. Die eigentlichen Helfer sollen in der Versenkung verschwinden - ganz ohne Dankeschön! Dabei hat mein Stamm täglich bis zu 3000 Insekten-Tierchen gefangen, die den Pflanzen, das Leben schwer gemacht hätten. Wir gehören auch zur Gesundheitspolizei, die dabei mithelfen, Kadaver von Säugetieren schneller zu beseitigen. 

 

Außerdem nehmen die Zweibeiner uns Stück für Stück unsere Nistmöglichkeiten fort und beklagen sich, wenn wir uns dann Ersatz in Dachstühlen oder Rollladenkästen suchen. Wir würden auch lieber in einem alten Maulwurfs- oder Mäusebau unser Papierschloß bauen, aber solche vor gegrabenen Erdbauten sind selten geworden.

Wenn ich darüber nachdenke, könnte ich echt wütend werden! Aber das hat keinen Sinn! Wir könnten uns ja nicht einmal zusammen tun, um gegen diese Zweibeiner in den Krieg zu ziehen. Zu viele von uns haben sie schon getötet.

Darunter sogar einige der solitär lebenden Wespen, die ganz ohne eine Gemeinschaft wie wir sie haben, auskommen müssen. Sie sind alleinerziehende Mütter, die das Futter heranschaffen und das Nest für ihre Kleinen bauen. Und das nur, weil sie gelb-schwarz gestreift sind. 

 

Viele Wespen halten sich meist von den Menschen fern. Sie können nicht wie unser Stamm vom Duft des Zweibeiner-Futters verführt werden. Wenn die Menschen wenigstens darauf achten würden. Nur mal etwas genauer hinschauen. Ist das denn zu viel verlangt?

 

Das gilt vor allem für die Schlupfwespen, die wie geflügelte große Ameisen mit Riesenstachel aussehen. Einen kleinen Tipp am Rande! Den echten Stachel sieht man nicht. Wenn also ein Tierchen scheinbar mit einem riesigen Stachel am Hinterteil herum fliegt, dann ist das nur der Legebohrer, damit die Eier für den Nachwuchs tief unter die Rinde im alten Holz abgelegt werden können. Das ist alles!!

 

Zudem sind die Menschen selbst daran schuld, wenn sie von einem aus meinem Stamm gestochen werden. Wir sind Lebewesen, die in einem komplexen Wir-Bewusstsein arbeiten. Und wenn dann die Duftwolke Angst oder Wut von den Zweibeinern rüber weht, dann schaltet unser Körper direkt in den Kampfbereitschaft-Modus. Dann beginnen wir dann mit einem wilden Drauflosgesteche gegen alles, was größer ist als wir.

Und, wenn wir das Gefühl haben, gleich zu ersticken, agieren wir natürlich auf ähnliche Weise. Das heißt alles, was nach Kohlendioxid stinkt, wird von uns als Gefahr wahrgenommen. Die Menschen atmen das Zeug ja auch aus, damit sie nicht daran ersticken.

 

Übrigens: Wespe ist nicht gleich Wespe, auch wenn der Mensch gerne alles einheitlich zu einer Art zusammen zu quetschen versucht. Es gibt vier Stämme der Langkopfwespen. Deren Staat wächst sehr schnell, doch spätestens Mitte August ist alles schon wieder vorbei. Ihre grauen, gewickelten Nester finden sich in Schuppen und Dachböden. Besonders selten geworden ist davon die Mittlere Wespe, die ihre freihängenden Papiernester nur in Hecken und Bäumen anbringen. Des Weiteren gibt es drei Arten von Kurzkopfwespen - mein Stamm gehört auch dazu. Und nur die Rote Wespe ist von den Kurzkopfwespen zu selten, so dass sie den Menschen gar nicht mehr auffällt. 

 

Unser Staat der Deutschen Wespen oder der Gemeinen Wespe lebt meist bis Ende Oktober, in Häusernähe auch mal bist November. Die Rote Wespe dagegen sucht kühlere Orte, und ihre Arbeiterinnen sterben so Mitte September. Sie sehen unserem Stamm zwar sehr ähnlich, fallen aber mit ihren zwei roten Bauchringen auf - wenn man hinschaut!

Und auf ihrem Speiseplan stehen die Stechmücken, die der Mensch noch mehr hasst als unseren Stamm. Wenn also zu viele Stechmücken herum fliegen und die Menschen pieksen, dann trägt er wohl selbst die Schuld daran. Gäbe es genügend Rote Wespen, würde es das Problem nicht geben!

Außerdem ist der Staat der Roten Wespen viel kleiner als unserer, nur 150 bis maximal 350 Tiere leben in einem Nest. - Wir dagegen bringen es auf einige Tausende. Vor allem so ab Juni, denn dann legt nicht nur die Königin Eier, sondern auch einige der Arbeiterinnen. Und auch darin sind wir den Menschen sehr ähnlich! Wir bauen regelrechte Großstädte - nur mit dem Unterschied: Unsere Stadt ist perfekt angepasst und besteht aus rein natürlichen, gut recycelbaren Materialien.

Darüber hinaus gibt es auch noch die echten Wespen, zu denen die Hornissen zählen. Sie sind die einzigen, die meist gegen Abend und in der Nacht ausfliegen, um auf die Jagd zu gehen. Doch auch hier hat der Mensch tödliche Fallen aus Licht aufgestellt!

 

Und noch was! Die Feldwespen sind nochmal ein ganz anderer Stamm als der unsere. Sie zählen zu den Faltenwespen, sind also keine sogenannten echten Wespen, wie das die zweibeinigen Fachleute so erklären. Noch leben sechszehn Arten hier in Deutschland, aber wer weiß, wie viele es noch im nächsten Jahr sind... ach, wir Wespen leben einfach in einer schrecklichen Zeit - für uns scheint die Apokalypse schon angebrochen zu sein! 

 

Nikki Fresslein